Die Kosten für die ambulante und stationäre Pflege steigen Jahr für Jahr. Von 2017 bis 2019 gab es keine Erhöhung der Leistungsbeträge, um diese Kostensteigerung aufzufangen. Eine Anpassung sollte zum 1.1.2021 erfolgen, wenn die Bundesregierung diese für notwendig erachtet. Eigentlich tat sie dies im Jahr 2020.
Da in der bundesdeutschen Pflege eine kontinuierliche jährliche Anpassung an die allgemeine Preissteigerung fehlt, verliert jeder einzelne Pflege-Euro für die Familien Jahr für Jahr an Wert.
Mit dem Pflegestärkungsgesetz (PSG II) von 2016 wurden die Änderungen zur Anpassung der Höhe der Pflegeleistungen im Rahmen der großen Pflegereform 2017 auf den Weg gebracht. Danach wurde gesetzlich geregelt, dass
- Die Notwendigkeit und Höhe einer Anpassung der Leistungen der Pflegeversicherung im Jahr 2020 überprüft werden muss,
- als Orientierungswert die kumulierte Preisentwicklung in den letzten drei abgeschlossenen Kalenderjahren (2017 bis 2019) verwendet werden soll und
- die Bundesregierung ermächtigt wird, diese zum 1. Januar des Folgejahres (in der chronologischen Logik 2021) anzupassen.
Die Diäten unsere Abgeordneten steigen jährlich kontinuierlich an – von 2017 bis heute von monatlich 9.327 € auf 10.055 € um insgesamt 7,8 %. Im Bericht der Bundesregierung zur Dynamisierung der Leistungen der Pflegeversicherung nach § 30 SGB XI wird der Anstieg der Bruttolohn- und -gehaltssumme je abhängig beschäftigten Arbeitnehmer im Zeitraum 2017 bis 2019 ähnlich hoch mit 8,9 Prozent beziffert.
Wohl wissentlich, dass sich die Kosten für die Pflege in fast allen Bereichen des Pflegealltags mindestens auf diesem Niveau entwickelt haben, hält die Bundesregierung eine Anhebung lediglich um 5 % für angemessen. Im genannten Bericht wird versprochen, „zeitnah über die Umsetzung der Dynamisierung (zu) entscheiden“. Hier kann der Bericht heruntergeladen werden.
Theoretisch hätte der Bericht der Bundesregierung ohne Probleme im ersten Quartal vor einem Jahr abgeschlossen und die notwendigen Schritte zur fristgerechten Erhöhung zum 1.1.2021 erfolgen können. Die Daten für die kumulierte Preisentwicklung lagen laut Pressemitteilung des Statistischen Bundesamtes bereits am 16. Januar 2020 vor.
Dann kam Corona und entschuldigt bekanntlich, und teilweise ja auch verständlich, einiges. So z.B., dass den betroffenen Pflegebedürftigen im ersten Halbjahr 2021 fällige Mittel für den Wertverlustausgleich in Höhe von ca. 1 Mrd. Euro nicht gewährt wurden. Dieser Wert errechnet sich, wenn man die Daten der Ausgabenstatistik von 2019 mit einer Steigerung aus mehr Leistungsnehmer und eine leicht höhere Nutzung für 2020 und 2021 prognostiziert (pauschal 5%) und dann den Anpassungsaufschlag von 5 % als Empfehlung der Bundesregierung berücksichtigt.
Sich wohl dieser „Bringschuld“ bewusst, sah der im März „durchgestochene“ Arbeitsentwurf zur Pflegereform 2021 eine Besonderheit vor. Entgegen der eigentlichen Verfahrensvorgaben zur Erhöhung zum Anfang des Jahres sollte nun schnell eine unterjährige Erhöhung um 5 % zum 1.7.2021 nachgeholt werden. Eigentlich war diese Absicht aber schon deutlich vor der Berichtsveröffentlichung am 9.12.2020 in Planung. Bereits im „Eckpunktepapier“ zur Pflegereform vom 4.11.2020 wurde diese Absicht veröffentlicht.
Bekanntlich hat Kanzleramtsminister Helge Braun am 7.5.2021 die undankbare Aufgabe übernommen, im Bundestag die Beerdigung der Pflegereform 2021 zu verkünden.
Reste der Pflegereform werden aktuell in das GVWG übernommen.
Was passiert aber mit der 5 % Anpassung?
Auf Nachfrage im Bundesgesundheitsministerium konnte bisher keine Information zur weiteren Umsetzungsplanung der Anpassung gewonnen werden. In den Ankündigungen zum Gesetzgebungsverfahren für das „Gesetz zur Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung (GVWG)“ ist kein Hinweis mehr auf die 5%-Anpassung zum 1.7.2021 zu lesen (Änderungsanträge SGB XI).
Eine Diskussion mit Heike Baehrens, Pflegepolitische Sprechern der SPD, vom vergangenen Wochenende ergab, dass dem Koalitionspartner ebenfalls keine Informationen über eine Umsetzungs-Absicht vorliegen.
Sollte eine verspätete Anpassung auch zum 1.7.2021 nicht erfolgen, müssten die Pflegebedürftigen und ihre Familien auf einen Ausgleich in Höhe von vermutlich über 2 Mrd. Euro in diesem Jahr verzichten.
Reaktionen
Der Verein Pflegende Angehörige e.V. hat zwischenzeitlich einen offenen Brandbrief an Gesundheitsmister Jens Spahn und Finanzminister Olaf Scholz geschrieben und beide aufgefordert, umgehend einen kurzfristigen Gesetzesverstoß zu initiieren, um den ursprünglich ueitlichen Fahrplan der Pflegereform 2021 noch einhalten zu können.
Hier noch abschließend der Gesetzestext
- 30 SGB XI Dynamisierung, Verordnungsermächtigung
(1) Die Bundesregierung prüft alle drei Jahre, erneut im Jahre 2020, Notwendigkeit und Höhe einer Anpassung der Leistungen der Pflegeversicherung. Als ein Orientierungswert für die Anpassungsnotwendigkeit dient die kumulierte Preisentwicklung in den letzten drei abgeschlossenen Kalenderjahren; dabei ist sicherzustellen, dass der Anstieg der Leistungsbeträge nicht höher ausfällt als die Bruttolohnentwicklung im gleichen Zeitraum. Bei der Prüfung können die gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen mit berücksichtigt werden. Die Bundesregierung legt den gesetzgebenden Körperschaften des Bundes einen Bericht über das Ergebnis der Prüfung und die tragenden Gründe vor.
(2) Die Bundesregierung wird ermächtigt, nach Vorlage des Berichts unter Berücksichtigung etwaiger Stellungnahmen der gesetzgebenden Körperschaften des Bundes die Höhe der Leistungen der Pflegeversicherung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates zum 1. Januar des Folgejahres anzupassen. Die Rechtsverordnung soll frühestens zwei Monate nach Vorlage des Berichts erlassen werden, um den gesetzgebenden Körperschaften des Bundes Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.
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