Sorgende Angehörige

Jun 2, 2019 | Infografik, KONZEPTE, Pflegepolitik, Pflegeversicherung, SGB XI | 1 Kommentar

„SAP Traumstart bei der Bundestagswahl 2021“

„Sensationeller Sieg der SAP Partei bei der Bundestagswahl 2021. Vom Start weg wählen 9,6 Mio. Menschen in Deutschland die Partei der Sorgenden Angehörigen und ihrer pflegebedürftigen Familienmitglieder.

Das sind satte 29,5% aller Stimmen.

 die=Mit einem deutlichen Vorsprung von über 8 Prozentpunkten wird die voraussichtliche neue Kanzlerin Kornelia Schmid in den kommenden Tagen mit Vertretern der GRÜNEN und der CDU/CSU Sondierungsgespräche für eine mögliche Koalition führen.

Mit beiden Parteien wäre eine Mehrheit von über 50 % zu realisieren.

Für eine Koalition mit den Sozialdemokraten  und DIE LINKEN wird es aufgrund der fehlenden Mehrheit nicht zur Bildung einer Bundesregierung reichen.

Die Analyse der Wählerwanderschaft zeigt, dass die größten Stimmengewinne der SAP zulasten der CDU/CSU gingen. Altersbedingt liegen die traditionelle Wählerschaft der Christdemokraten und der SAP-Anhänger dicht beieinander (40 Jahre und älter).

Aber auch die SPD muss nach dem Aderlass bei der Europawahl 2019 nun auch im Bund Stimmen abgeben. Fast 2 Mio. Genossen und Genossinnen wählten diesmal die Partei der Sorgenden und Pflegenden Angehörigen. Dazu Parteichef Kevin Kühnert: “ Wir haben wohl zu einseitig auf die Generation YouTube gesetzt“

Mit dem Traumstart können nun wichtige und dringend notwendige grundsätzliche Reformen in der Pflegeversicherung auf den Weg gebracht werden, um dem drohenden Notstand in der häuslichen Versorgung entgegenzuwirken.

„Die informelle und formelle Pflege erfährt nun auch in Deutschland die Wertschätzung, die sie schon seit langem verdient hat“, so Schmid in einem ersten Statement zum überragenden Wahlergebnis.

Zentrales Wahlkampfthema der SAP war die Demographie bedingte Reduzierung der Sorgenden und Pflegenden Angehörigen in den kommende 5-15 Jahren und deren Auswirkung auf die Versorgungssituation bei weit über 5 Mio. pflegebedürftigen Menschen.“

 

Riiiinnnng…. Riiiinnnnggg…

 

Moin, und willkommen in der Realität zurück.

Gleich vorab: Ich möchte keine Partei gründen und Kornelia Schmid hat auch keinerlei Ambitionen Bundeskanzlerin zu werden. 😉

In den letzten Tagen und Wochen wurde ich öfters gefragt, warum ich in meinen Blog-Texten in diesem Jahr immer öfters von „Sorgenden und Pflegenden Angehörigen“ schreibe.

Aufgrund eigener Erfahrungen in der Familie und auch durch viele Gespräche mit Betroffenen, die u.a. hier beim Pflege-Dschungel Rat und Unterstützung suchen, wurde mir bewusst, dass die Begrifflichkeit „Pflege“ bei vielen Menschen wenig oder gar keine Identifikationskraft hat.

Weil sie sich (noch) nicht um die körperliche Pflege ihrer Liebsten kümmern und/oder für die direkte Versorgung mit Nahrung oder Unterstützung bei der Mobilität verantwortlich sind, fühlen sie sich nicht als „Pflegende Angehörige“.

Der überwiegende Teil von ihnen umsorgt fürsorglich ihre Angehörigen in Form von Begleitung und organisatorischen Aufgaben, die nicht mehr von den Eltern, Geschwistern, Kindern oder anderen Verwandten und Nachbarn und Freunden erledigt werden können.

Bei meinem Vater, der das letzte Lebensjahr bettlägerig verbrachte, fühlte ich mich durchaus als „Pflegender Angehöriger“. Bei meiner Mutter, die bis vor einiger Zeit primär organisatorische Unterstützung und Begleitung bedurfte, betrachteten meine Geschwister und ich uns eher als „Sorgende Angehörige“.

SAP Potential

Inspiriert hat mich auch eine Ende 2018 veröffentlichte Studie mit dem Namen: „Sorgende Angehörige als Adressat_innen einer vorbeugenden Pflegepolitik“ des Forschungsinstituts für gesellschaftliche Weiterentwicklung (FGW-Studie).

Und ein ganz, ganz wichtiger Punkt ist: Es sind so wahnsinnig viel mehr Menschen, als diejenigen, die uns mit der offiziellen Zahl der GKV Jahr für Jahr suggeriert wird. 2,9 Mio. Pflegebedürftige werden zum größten Teil alleine von Angehörigen gepflegt. 

Dass das Ausmaß der Pflegebedürftigkeit und der Menschen, die damit oft täglich betroffen und beschäftigt sind, in Deutschland viel größer ist, zeigt die folgende Analyse der „Sorgenden Angehörigen“.    

Erläuterungen zur Infografik „Sorgende Angehörige“

Mit der zentralen Grafik auf der Infografik „Sorgende Angehörige“ habe ich versucht meine Gedanken zum Thema zu strukturieren. Dabei nutze ich jeweils eine dreiteilige horizontale und vertikale Einteilung.

 

A. Sorgende Angehörige noch ohne Hilfe (ca. 1,3 Mio. Menschen)

Laut MDK-Statistik wurden in 2018 ca. 10 % aller 2 Mio. Begutachtungen negativ ohne einen Pflegegrad beschieden. Unabhängig warum die notwendige Mindestpunktzahl von 12,5 nicht erreicht wurde, sind diese Menschen und ihre ca. 0,4 Mio. Angehörigen mit ihren „Abgelehnten Anträgen“ definitiv mit dem Thema beschäftigt.
Oftmals noch viel intensiver sind Familien involviert, die aus Scham oder Unwissenheit sich gar nicht für eine Begutachtung melden. Ich schätze mangels verlässlicher Datengrundlage die „Dunkelziffer“ auf ca. 500.000 Betroffene, um die sich ca. 0,9 Mio. Angehörige und/oder Zugehörige kümmern.

B. Offiziell ambulant versorgte Pflegebedürftige 2020 (inkl. PKV), (ca. 3,4 Mio. Menschen)

Mit Hilfe der Studie des Bundesgesundheitsministeriums „Studie zur Wirkung des Pflege-Neuausrichtungs-Gesetzes (PNG) und des ersten Pflegestärkungsgesetzes (PSG I)“ können Erkenntnisse zur familiären Versorgungssituation genutzt werden, um durch eine Transformation auf die heutigen Pflegegrade Einschätzung zur Anzahl der Sorgenden Angehörigen zu treffen.

Mittels der jüngst veröffentlichten Zahlen zur Pflegeversicherung 2018 und den in diesem Zusammenhang aktualisierten Prognosen des BMGs (8,8% in den kommende zwei Jahren) konnten Ableitungen zur Situation 2020 prognostiziert werden.
Ein Jahr vor der nächsten Bundestagswahl werden danach 3,4 Mio. GKV- und PKV-Versicherte Pflegebedürftige von ca. 6,4 Mio. Sorgenden und Pflegenden Angehörigen in ihren Haushalten betreut.

C.) Keine Hilfe mehr für Sorgende Angehörige (ca. 3,0 Mio. Menschen)

Und dann musste die Mutter ins Heim. Tschüss, liebe Angehörige, und einen letzten Gruß von der Pflegeversicherung.
Der überwiegende Teil der Familienmitglieder bleibt Sorgende Angehörige, wenn, aus welchem Grund auch immer, die liebsten in einer stationären Versorgungssituation untergebracht werden müssen.
Aufgrund der oftmals heute schon chronischen Personalsituation werden Sorgende Angehörige beim Besuch im Heim selber wieder zu Pflegenden Angehörigen. Eine emphatische und verantwortliche Politik sollte sich auch um diese Leistungsträger kümmern.

Dies gilt gleichermaßen für die vielen Witwen und Witwer sowie die Kinder und andere Zugehörige, für die Sorge-Situation auch nach dem Ableben des Pflegebedürftigen nicht automatisch endet – weder organisatorisch noch emotional. Auch finanziell und gesundheitlich sind oftmals Brücken zu schlagen und Hilfe ist notwendig.

D. Pflegebedürftige

Die Angaben zu den Pflegebedürftigen sind hier selbsterklärend und basieren auf Daten des BMG sowie eigenen Berechnungen und Einschätzungen. Sie summieren sich auf knapp 5,0 Mio. Personen.

E. Sorgenden Angehörige (ca. 10,7 Mio. Menschen)

Die Sorgenden Angehörigen sind anhand folgender Gewichtungs-Faktoren mit der jeweiligen Anzahl der Pflegebedürftigen berechnet. Diese Faktoren beruhen auf den Erkenntnissen der oben zitierten BMG-Studie:

Die Häkchen (✔︎, ✔︎✔︎, ✔︎✔︎✔︎) sind von mir subjektiv als Kennzeichnung der Intensität der Aufgabenerfüllung in den einzelnen Situationen definiert. Da kann jeder selbstverständliche andere Einschätzungen haben.

F. Pflegende Angehörige (ca. 1,6 Mio. Menschen)

Das ZQP ermittelte vor Jahren 4,5 Mio. Pflegende Angehörige. Und jetzt sollen das nur noch 1,6 Mio. sein?
Ist das nicht kontraproduktiv? Nein.
Wie bereits weiter oben beschrieben, identifizieren sich viele der bis heute üblicherweise als Pflegende Angehörige bezeichneten Familienmitglieder nicht als solche. Das ist nicht förderlich, wenn diese Menschen für oder gegen bestimmte gesellschaftspolitische Herausforderungen und Aktivitäten motiviert und begeistert werden sollen. Da muss Mann/Frau sich schon identifizieren können.

Andererseits ermöglicht eine Fokussierung auf den Kern der „tatsächlich“ pflegenden Pflegenden Angehörigen, sich deren prekären Situation viel gezielte anzunehmen und Lösungen zu finden.

Soweit zu der Darstellung. Ich hoffe, sie ist jetzt verständlicher zu lesen.

Warum nun die große Zahl von 15,7 Mio. Betroffenen ins Verhältnis zur politischen Willensbildung setzen?

Bundeskanzlerin Angelika Merkel bezeichnet sie als „Stille Helden der Nation“ und damit trifft sie den Nagel auf den Kopf. Ob Pflegende Angehörige, Sorgende Angehörige oder pflegebedürftige Menschen – sie haben heute (noch) keine schlagkräftige und laute Lobby als Interessenvertretung und sind trotz teilweise enormen Überforderungen so ruhig und still, dass Unbeteiligte denken könnten, die Welt dort draußen in den betroffenen Haushalten und Familien muss doch eigentlich in Ordnung sein.

Nochmals: Ich möchte keine Partei gründen und Kornelia Schmid hat auch keinerlei Ambitionen Bundeskanzlerin zu werden.

Die „spielerische“ Einordnung des Potentials der Sorgenden Angehörigen und ihre pflegebedürftigen Familienmitglieder in die Parteienordnung soll nur den Politikern und sonstigen Verantwortlichen rechtzeitig signalisieren, dass sie momentan Gefahr laufen, eine zweite sehr große gesellschaftliche Gruppe zu ignorieren.

Das wäre fatal.

Greta und Rezo haben jeweils auf ihre individuelle Weise insbesondere auf die unzureichende Wertschätzung der an Umweltthemen interessierten Wählern aufmerksam gemacht.

Die Konsequenz zeigte sich am Abend der Europawahl.

Mediale Betroffenheit vs. 24/7 Sorge-Arbeit

Wenn man bedenkt, welche enorme Wirkung die Medienberichterstattung zum Thema Klimawandel in Deutschland erzeugt hat, könnte man eigentlich überrascht sein. JA, mit etwas Phantasie kann man sich vorstellen, welche Folgen eine weitere Erderwärmung haben kann. Aber vom heutigen realen Leben ist das doch oft noch recht weit entfernt. Wir joggen durch den schönen Stadtpark, bummeln in der City oder genießen die Natur beim Waldspaziergang. Die drohende Klimakatastrophe wird bequem am Bildschirm „erlebt“.

Bitte nicht falsch verstehen – Klimaschutz muss Top-Prio in Politik und Gesellschaft sein.

Im Gegenzug ist für die Sorgenden Angehörigen die Situation der pflegebedürftigen Angehörigen jedoch fast permanent präsent. Die Folgen einer unzureichenden Sozial-Politik sind täglich zum Greifen nah. Der zu bewältigende Bürokratismus und die geringer Wertschätzung ist tagtäglich gelebte und gefühlte Realität.

Da schlummert ein gewaltiges Potential, das eventuell nur geweckt werden muss.

Wertschätzung sieht anders aus.

Wir wollen nicht jammern, aber wenn beispielsweise das einzig wirkungsvolle Versprechen der GroKo für die Sorgenden Angehörigen, das Entlastungsbudget, bewusst an die letzte Stelle der Aufgabenliste gesetzt wird, dann zeigt diese Priorisierung auch eine Form der Wertschätzung.

Warum kommt das Entlastungsbudget erst zum Auslaufen der jetzigen Legislaturperiode? Wer bestimmt da die Prioritäten und warum?

In 2020 werden die Stimmen und Forderungen der Sorgenden Angehörigen und ihre pflegebedürftigen Familienmitglieder mit Sicherheit lauter. Viel, viel lauter. Wir dürfen gespannt sein, wie die Parteien hierauf reagieren und welche Programme und Konzepte dann in der kommenden Legislaturperiode tatsächlich umgesetzt werden.

Wenn Sonntag gewählt würde?

Hier noch ein paar Erläuterungen zu der Wahlergebnis-Grafik:

Die SAP 100% bilden das Potential für die Ausgangslage einer fiktiven Wahl der Partei. 10,7 Mio. Sorgende Angehörige und ihre 5,0 Mio. pflegebedürftigen Familienmitglieder.

Die SAP-Wähler sind hochgradig für ihr fokussiertes Thema sensibilisiert. Umwelt und Klimawandel sind für viele wichtig, aber doch vom tagtäglichen Leben (noch) weiter entfernt. Die Pflegebedürftigkeit des Familienmitglieds ist aber permanent präsent. Die täglichen Aufgaben und Themen bestimmen das Denken und Handeln vieler von morgens um 6 bis Mitternacht. Und oft auch bis zum frühen Morgen.

„Wäglerwanderung“

Nicht verwunderlich also, dass ein mindestens auf dem Niveau der Wahlbeteiligung (EU-Wahl = 61%) aller Bürger und Bürgerinnen liegendes Engagement zum Ausdruck kommt.

So die zentrale Unterstellung und Annahme dieses Szenarios.

Für die weitere Betrachtung stimmen 61 % alle SAPler bei einem fiktiven Wahlereignis für ihre Partei. Dies sind dann rechnerisch 9,6 Mio. Wähler.

Die Wähler kommen natürlich von anderen Parteien und im Modell verlieren die Partien am meisten Wähler, die eine hohe Überscheidung mit den soziodemografischen Strukturen der SAPler aufweisen. Die sind insbesondere die bisherigen Volksparteien.

Die blau gekennzeichneten Werte stellen diese Wählerwanderungen dar.

Sitzverteilung

Entsprechend reduzieren sich die bisherigen Wahlergebnisse (hier die aktuelle Europawahl) um die Stimmen, die nun die SAP gewinnen konnte.

In der Folge ergibt sich eine neue prozentuale Stimmenverteilung, die dann zum eingangs spaßeshalber aufgezeigten Szenario führt.

Fazit:

Natürlich meine ich das Thema nicht nur lustig.

Ich denke, dass sich viele engagierte Menschen nach den Sommerferien einmal zusammenfinden sollten, um zu sondieren, wie Sorgende Angehörige ein Jahr vor der nächsten Bundestagswahl eine lautere Stimme bekommen können.

Schöne Ferien allen!

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1 Kommentar

  1. Katja Wildfeuer

    Vielen Dank für Ihre sehr plakativen und interessanten Artikel. Auch ich konnte einiges daraus mitnehmen.
    Mit besten Grüßen
    Katja Wildfeuer

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Hendrik Dohmeyer – §7a Pflegeberater
und Autor beim Pflege-Dschungel

Seit über 15 Jahren bin ich Sorgender und Pflegender Angehöriger (SPA).
Als Pflegeberater bin ich bundesweit für viele Familien tätig.
Täglich nutzen durchschnittlich 1.500 Ratsuchende meine Informationen und Leistungen hier vom Pflege-Dschungel.

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